Selbstvertrauen aufbauen: Wie man mit zwei Bausteinen langfristig seine Performance verbessert
Gastbeitrag von Marco Kühn www.tennis-insider.de - dem sehr zu empfehlenden Bolg über mehr (mentale) Stärke im Tennis.
Bis zu 200-mal pro Tag fallen sie. Sie stehen jedes Mal wieder auf und lachen oft dabei. Zielgerichtet marschieren sie weiter. Zumindest für ein paar Augenblicke. Dann macht es wieder "Plumps" und das Spielchen geht von vorne los.
Wenn Kids das Laufen lernen, dann bauen sie mit zwei simplen psychologischen Bausteinen Selbstvertrauen auf. Sie lernen, sich und ihren Entscheidungen zu vertrauen. Etwas, was uns als Erwachsene im Wahnsinn eines Tennismatches fast unmöglich scheint. Wir werden in diesem Artikel schauen, welche beiden Bausteine maßgeblich für echtes, nicht gespieltes Selbstvertrauen verantwortlich sind.
Doch zuvor müssen wir diese Frage unbedingt klären:
Was ist Selbstvertrauen überhaupt?
Im Tennis wird viel über den Kopf und die Mentalität gesprochen. Es fällt aber schwer, diese Themen greifbar zu machen. Selbstvertrauen wird gern damit assoziiert, mit breiten Schultern im Stile von Rocky Balboa von Ballwechsel zu Ballwechsel zu marschieren. Das ist natürlich totaler Quatsch. Es geht beim Thema Selbstvertrauen nicht darum, mit Hilfsmitteln wie der Körpersprache etwas nach außen zu spielen, dass es im Inneren des Spielers nicht gibt. Selbstvertrauen ist das, was das Wort selbst in sich trägt: Sich selbst zu vertrauen.
Dazu gehört auch, dass man sich mal zwei, drei Aufschlagspiele mit zahllosen vermeidbaren Fehlern verzeiht. Eben weil man sich vertraut, dass es rasch wieder aufwärtsgehen wird. Die Preisfrage lautet nun: Wie baut man Selbstvertrauen auf?
Stell dir vor, du willst ein Gartenhaus bauen. Das wird dir nicht innerhalb der nächsten halben Stunde gelingen. Mal passt ein Balken nicht zum anderen. Eine Wand steht nach ihrem Aufbau leicht schief. Du findest nicht direkt die passenden Nägel und Schrauben. Entscheidest du dich aber dranzubleiben, dann kannst du über einen Zeitraum von einem Nachmittag das Häuschen zusammenbauen. Mit dem Selbstvertrauen ist es ähnlich. Man braucht Geduld.
Schön ist, dass du im Gegensatz zum Gartenhaus nur zwei Bausteine benötigst: Eine hohe Frustrationstoleranz und das Erkennen von Mini-Erfolgserlebnissen.
Warum ist eine hohe Frustrationstoleranz wichtig?
Stell dir vor, du führst im ersten Satz ratzfatz mit 3:0. Du sitzt auf der Bank beim Seitenwechsel. In Gedanken überlegst du dir, was du deinem Gegner beim Handshake am Netz sagen kannst. Natürlich, nachdem du ihn vom Platz gepustet hast. Keine halbe Stunde später steht es 3:6 und 0:3 aus deiner Sicht.
Wie reagierst du dann? Bleibst du cool und denkst analytisch nach? Oder vergräbst du dich in Zweifeln und kannst dich auf keinen einzigen Ballwechsel mehr korrigieren?
Eine hohe Frustrationstoleranz ist das entscheidende mentale Werkzeug, um die harten, umkämpften und engen Matches zu gewinnen. Die Matches, in denen du nicht dein bestes Tennis spielst und ordentlich ackern musst. Du wirst sehr viele Spieler kennen, die hervorragende Leistungen bringen, wenn es gut läuft. Doch sobald ein klein wenig Gegenwind aufzieht, fangen diese Tenniscracks an zu meckern, zu lamentieren und starten eine Negativspirale aus Konzentrationslöchern.
Überlege mal, wie stark diese Spieler wären, wenn sie eine hohe Frustrationstoleranz hätten. Kaum auszumalen, oder? Einen starken Spieler zeichnet es nicht unbedingt aus, wie gut er spielt, wenn alles für ihn läuft. Einen starken Spieler zeichnet aus, wie er sich verhält, denkt und handelt, wenn nichts zusammen läuft im Match.
Ein sehr gutes Beispiel ist der großartige Rafael Nadal. Er ist ein Meister darin, einen komplett verkorksten Satz einfach abzuhaken. Dieser Satz existiert für ihn gar nicht mehr, wenn er zu Ende ist. Rafa hat beispielsweise bei den Australian Open gegen Daniil Medvedev zwei Sätze komplett vergeigt. Der Spanier zeigte keine emotionale Regung. Es schien, als würde ihn das nicht jucken. Er fokussierte sich weiter. Er lauerte auf seine Chance. Und packte dann zu, als er diese Chance bekam. Das ist das beste Beispiel dafür, warum eine hohe Frustrationstoleranz entscheidend für deinen Erfolg als Turnierspieler ist.
Das Geheimnis der Mini-Erfolgserlebnisse
Eine hohe Frustrationstoleranz kannst du durch Mini-Erfolgserlebnisse trainieren. Wir sind gerade das Beispiel von Rafa Nadal durchgegangen. Wie kann er zwei Sätze einfach abhaken? Die Antwort: Er besitzt das Selbstverständnis, dass er solch ein Match noch biegen kann. Dieses Selbstverständnis holt er sich im Laufe eines Matches durch Mini-Erfolgserlebnisse.
Was können solche Mini-Erfolgserlebnisse sein?
- eine starke Vorhand-Cross, direkt an die Seitenlinie
- ein gelungener Passierschlag
- ein hart umkämpfter Ballwechsel, den man sich noch holt
- vier gute erste Aufschläge in Serie
ein umkämpftes Aufschlagspiel, das mehrmals über Einstand geht, das man sich noch holt
Diese kleinen Highlights füttern dein Selbstverständnis. Das Problem ist, dass viele Spieler diese Mini-Erfolgserlebnisse in einem Match leider nicht erkennen. Sie schimpfen immer noch mit sich, obwohl sie gerade eine richtig geile Vorhand die Linie entlang gespielt haben und eigentlich ihre Faust ballen müssten. Du kennst sicherlich die Spieler, die ständig schimpfen, obwohl sie gerade so gut spielen, wie noch nie in ihrer Karriere.
So lässt sich natürlich kein echtes Selbstvertrauen aufbauen.
Wir halten mal kurz fest, was du für echtes Selbstvertrauen brauchst:
- eine hohe Frustrationstoleranz
- Mini-Erfolgserlebnisse
- Das Selbstverständnis, dass du jederzeit im Match das Ding noch drehen kannst
Wann ist Selbstvertrauen im Match wichtig?
Der Start in ein Match ist immer eine knifflige Geschichte. Es ist ein bisschen wie das erste Betreten des Hotelzimmers im Urlaub. Man weiß nie, wie es sein wird. Man hofft aber, dass alles gut ist.
Direkt vom ersten Punkt an voller Selbstvertrauen über den Court zu marschieren, ist ein sehr hoch gestecktes Ziel. Wichtiger, und auch effektiver, ist ein hohes Selbstvertrauen ab Mitte des ersten Satzes. Bis dahin hast du Zeit, ein paar Mini-Erfolgserlebnisse zu sammeln. Du hast die ersten schwierigen Phasen überstanden und konntest deine Frustrationstoleranz etwas reizen.
Das sind alles Dinge, die für echtes Selbstvertrauen wichtig sind. Die Geschichte zeigt, dass die Spieler mit einem hohen Selbstvertrauen meist dann von diesem Vertrauen profitieren, wenn es um die Big-Points geht. Roger Federer war zum Beispiel dafür bekannt, nicht immer fehlerfreies Tennis zu spielen. Ich erinnere mich an ein Match von ihm in Halle. Er spielte gegen Denis Kudla. Kudla war der bessere Spieler. Er gewann die spektakulären Punkte. Seine Fehlerquote war niedriger. Federer wackelte oft beim eigenen Aufschlag. Manchmal hatte er auch einfach nur Glück. Bei den Big-Points aber, so ab 4:4 oder 5:5 im Satz, war Roger voll da. Es schien, als würde er auf einen Knopf drücken und zwei Klassen besser spielen. In diesen Phasen hatte Kudla dann keine Chance mehr.
Was sagt uns das?
Tanke zu Beginn deiner Matches deinen Selbstvertrauen-Tank auf. Idealerweise mit Mini-Erfolgserlebnissen. Wenn du ordentlich getankt hast, dann kannst du davon in den entscheidenden Phasen eines Matches profitieren.
Zusammenfassung
Okay, lass uns in einer Checkliste zusammenfassen, was wir über Selbstvertrauen mitnehmen können:
- Selbstvertrauen ist das, was das Wort selbst in sich trägt: Sich selbst zu vertrauen
- Verzeihe dir Fehler und Schwächephasen in deinen Matches - sie gehören dazu wie der Netzpfosten
- eine hohe Frustrationstoleranz ist ein entscheidendes mentales Werkzeug - Arbeite an diesem
- starte damit, Mini-Erfolgserlebnisse zu erkennen und diese für dein Selbstvertrauen zu nutzen
- füttere dein Selbstvertrauen mit kleinen Highlights wie einem tollen Ballwechsel, guten Aufschlägen oder deinem Kampf im Match
Ich wünsche dir viel Spaß und Erfolg auf dem Platz!
Du willst mental stärker werden und mehr Matches gewinnen?
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